Die letzte Wohnadresse vor ihrer Deportation war das jüdische Altenheim in der Schüttingstraße 13 in Varel. Vor genau 80 Jahren wurden die letzten Bewohner dort abgeholt. Überlebt hat niemand von ihnen.

Von Hans Begerow

Varel – Die 24 Bewohner des jüdischen Altenheims in der Schüttingstraße 13 wussten, dass sie Varel am 23. Juli 1942 verlassen mussten. Sie waren von ihrer „Umsiedlung“ nach Theresienstadt informiert worden. Zwei von ihnen, Betti und Louis Wolff, schrieben noch am 22. Juli „innige Grüße“ an Verwandte und Freunde nach Schweden: „Küsst die lieben Kinder und nehmt innigen Dank von Eurer Betti und Louis“. Die Postkarte ist ein berührendes Dokument und eines der wenigen Schriftstücke, das aus dem Leben der Bewohner des Altenheims erhalten ist.

Louis Wolff wurde 1890 in Emden geboren. Er betrieb eine jüdische Bäckerei, die er von seinem Vater übernommen hatte. 1922 heiratete er seine Frau Betti, die 1898 in Esens als Betti Weinberg geboren worden war. Bis 1939 konnte Wolff seine Bäckerei betreiben, dann musste er mit seiner Frau das Wohn- und Geschäftshaus verlassen. Ab 1941 wohnten sie im jüdischen Altenheim in Emden und fungierten dort als Heimleiter. Die 24 Bewohner des jüdischen Altenheims in Emden wurden Ende Oktober 1941 nach Varel in das zuvor geräumte jüdische Altenheim der Geschwister Ernst und Jette Weinberg gebracht.

Die neuen Bewohner mussten sich in der Schüttingstraße sieben – teils sehr kleine – Räume teilen. Louis Wolff war auch der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Emden. Er hatte offenbar die handgeschriebene Chronik der jüdischen Schule Emden mit nach Varel gebracht und auf dem Dachboden der Schüttingstraße 13 versteckt. 52 Jahre später, 1994, wurde sie bei Renovierungsarbeiten entdeckt und befand sich lange in Privatbesitz, bevor sie Tom Brok (früher Pfarrer in Büppel, jetzt in Oldenburg) aufspürte. Die Finder der handgeschriebenen Kladde hatten sie zwar aufgehoben, aber die Bedeutung des Fundstücks nicht erkannt.

Am 23. Juli 1942 wurden die letzten 23 Bewohner der Schüttingstraße 13 zum Vareler Bahnhof gebracht und in einem Waggon der Reichsbahn nach Bremen gefahren, ein bislang unbekanntes Detail, das der Vareler Historiker Holger Frerichs herausgefunden hat. Ein Schriftstück in einem Schreiben zur Todeserklärung der Altenheim-Bewohnerin Fanny Wolff hatte die Israelitische Gemeinde Bremen 1951 die Umstände der Deportation geschildert: „Es ist … bekannt, dass das jüdische Siechenheim in Varel im Juli 1942 durch die Gestapo Wilhelmshaven aufgelöst und sämtliche Insassen … in einem Eisenbahnwagen nach Bremen transportiert wurden. Dort wurde der Eisenbahnwagen dem von Bremen abgehenden Transport angehängt.“ Die Deportierten aus Varel wurden also zusammen mit den Bremer Juden deportiert. Über Hannover erreichte der Zug Theresienstadt bei Prag. „Damit ist der Bereich der Stapo Wilhelmshaven von kennzeichnungspflichtigen Juden gesäubert“, meldete am 29. Juli 1942 die Geheime Staatspolizei an die Abteilung „Judenangelegenheiten“ des Reichssicherheitshauptamts.

Das Schicksal der Bewohner des jüdischen Altenheims: 16 von ihnen starben in Theresienstadt, sieben wurden später ins Vernichtungslager  Auschwitz deportiert, wo sie umkamen. Unter diesen sieben waren auch Louis Wolff  (im September 1944) und seine Frau Betti (im Oktober 1944).